Wirtschaft & Finanzen 29. April 2023

Hintergrund zur Bankenkrise


Eigentlich sollte an dieser Stelle ein Beitrag zur Mathematik von Chat GTP erscheinen; da es aber bereits einen Artikel zum Thema gab und noch keinen zur gegenwärtig schwelenden Bankenkrise (vor allem in den USA; zur Zeit steht die First Republic Bank unter Stress), habe ich mich entschieden ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.

Derivate

Um was geht es also? Zu Beginn sollte man sich noch einmal die Definition von Derivaten vergegenwärtigen (von Warren Buffet als „Weapons of Mass Destruction“[Massenvernichtungswaffen] geschmäht; wobei ein Blick in die Bilanz seiner Firma Berkshire Hathaway enthüllt, dass er selbst sehr ausgiebig und erfolgreich diese Instrumente nutzt). Laut der einschlägigen Literatur ist das Derivat eine „Art Finanzkontrakt, dessen Wert von einem zugrunde liegenden Vermögenswert, einer Gruppe von Vermögenswerten oder einer Benchmark abhängt“.

Beispielsweise stellt eine Call Option 100 Aktien einer Aktie für einen bestimmten Zeitraum dar, kostet aber einen Bruchteil des Preises und ist den gleichen Gewinnen oder Verlusten ausgesetzt, als wenn Sie tatsächlich die entsprechenden 100 Aktien gekauft hätten. Der Einsatz von Derivaten ist mit einem höheren Risiko verbunden, da die damit verbundene Hebelwirkung massive Wertschwankungen verursachen kann. Wenn Sie wissen, was Sie tun, können sie auch als Absicherung verwendet werden (das war der Ursprungsgedanke von Derivaten, die es letztlich seit Jahrhunderten gibt):

Sie kaufen zum Beispiel 100 Microsoft-Aktien zu 200$ und kaufen auch eine Put Option mit langer Laufzeit zu 200$ – eine Wette in Abwärtsrichtung. Auf diese Weise sind Sie nur dem Aufwärtspotenzial der 100 Aktien von Microsoft ausgesetzt und haben eine Versicherung gegen das Abwärtspotenzial des Put, der entsprechenden Short-Position von 100 Aktien. Denn der Put gewinnt an Wert, wenn die Aktie unter den sog. Strike von 200$ fällt.

Während Optionen auf einer grundlegenden Ebene ziemlich einfach zu verstehen sind, wird die Mathematik für ihre Analyse und Bewertung kompliziert und beinhaltet stochastische Analysis, oft numerische Verfahren wie Monte Carlo Simulation, finite Differenzen etc pp, wenn Sie Ihr Positionsexposure wirklich verstehen wollen.

Derivate gibt es in allen möglichen Ausgestaltungen; neben Zinsen und Währungen werden Derivate auf Rohstoffe (Öl, Elektrizität), Weizen, Schweinebäuche, Orangensaft (dazu gibt es einen hervorragenden Film mit Eddie Murphy, „Trading Places“, in dem das thematisiert wird) und sogar das Wetter strukturiert.

Nach den Grundlagen nun zu den Derivaten, die die Banken momentan auf Trap halten. Eines der am häufigsten verwendeten Derivate im Bankwesen ist der Zinsswap – aber was genau ist ein Swap?


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Es ist eigentlich genau das, wonach es sich anhört, es ist ein Derivatekontrakt, dessen Wert sich aufgrund der Risikoübertragung von einer Partei auf eine andere ändert. Eine Partei tauscht ihr Risikoengagement gegen eine zu zahlende Prämie mit einer Gegenpartei. Zinsswaps sind ziemlich einfach – im folgenden Beispiel tauscht eine Partei das variable Zinssatzrisiko (LIBOR) mit einer anderen Partei und zahlt eine feste Prämie für diese Gegenleistung.

Der Empfänger erhält einen festen Zinssatz auf das sogenannte Nominal, das dem variablen Zinssatz ausgesetzt ist. Wenn der variable Zinssatz steigt oder fällt, zahlt der Zahler weiterhin den festen Zinssatz an den Empfänger, aber der Wert des zugrunde liegenden Swap-Kontrakts, d.h. des sog. variablen „Legs“ ändert sich. Wenn der Zahler diesen Vertrag nicht abgeschlossen hätte und die Zinssätze gestiegen wären, müsste der Zahler mehr an Zinszahlungen zahlen. Stattdessen wird das Risiko mit dem Empfänger getauscht – der Zahler zahlt weiterhin einen festen Zinssatz, und der Auszahlungswert des Swap-Vertrags steigt für den Zahler, wodurch die Zinsdifferenz ausgeglichen wird. Das tun bspw. Häuslebauer, die aufgrund ihres meist festen Gehaltes einen festen Betrag pro Monat zahlen möchten, während der Zins am Markt steigen oder fallen kann. Dieses Risiko trägt die Bank oder geht ein entsprechendes Absicherungsgeschäft mit einer anderen Bank ein.

Im vorherigen Beispiel könnte eine Bank, wenn sie bei einem Swap Geld verliert, einen Mirror Image Swap mit einer anderen Gegenpartei abschließen, um ihr Zinsrisiko abzusichern – das funktioniert nachträglich jedoch nicht in einem Umfeld mit schnell steigenden Zinssätzen, wie es seit 2022 zu beobachten ist. Denn selbst wenn sie einen Ausgleichsswap eingehen, wird die Verlustposition des ursprünglichen Swaps immer größer sein als der Positionsausgleich des neuen Swaps.

Lassen Sie uns nun das Problem erweitern – multiplizieren Sie diesen Verlust mit Tausenden und Abertausenden von Zinsswaps im gesamten Finanzsystem, gepaart mit 9 aufeinanderfolgenden Zinserhöhungen um 25-75 Basispunkte, und wir haben alle Zutaten für exponentielle Verluste in Folge Derivatpositionen im gesamten Finanzsektor. (Ganz davon ab, dass es auch wiederum Derivate auf Derivate gibt; bspw. Swaptions, die Optionen auf Swaps darstellen….)

Wie groß ist das Exposure dieser Derivate

Über wie viele Euronen oder Dollar reden wir hier also? Derzeit zeigen die Daten, dass Zinsderivate mehr als 80 % des Werts aller von US-Geschäftsbanken unterzeichneten Derivatekontrakte ausmachen, was einem Nominalwert von insgesamt etwa 141 Billionen US-Dollar entspricht. Devisenswaps, die ebenfalls zins- und währungssensitive derivative Produkte sind, stellen weitere 42 Billionen US-Dollar dar.


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Quelle

Zum Vergleich: Der Staatshaushalt der Vereinigten Staaten beträgt nur 6.2 Billionen Dollar. Während Nominalwerte allein allerdings nicht viel darüber aussagt, inwiefern die Banken bei ihren Swaps variablen Zinsrisiken ausgesetzt sind, wissen wir, dass 60 % der regulierten US-Banken über Derivate ein Netto-Long-Zinsrisiko halten, sie also unter einem Anstieg der Anleiherenditen leiden würden.

„Die Höhe des Zinsrisikos von Banken bleibt in einer Black Box eingeschlossen … selbst ein erfahrener Investor, der alle Fußnoten zu Bankabschlüssen liest, kann nicht feststellen, wie viel Geld er mit Zinswetten verdient oder wieviel Exposure sie haben." -Frank Portnoy, Universität von San Diego, Morgan Stanley

Wenn wir uns das Pitch-Deck der SVB für ihre gemischte Kapitalbeschaffung nur wenige Tage vor dem Zusammenbruch ansehen, können wir sehen, dass das Zinsrisiko einer der Hauptgründe für die Kapitalbeschaffung war.


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Quelle

Allein von diesem Punkt an können wir vernünftigerweise davon ausgehen, dass die SVB nicht nur Verlusten bei den US-Treasury-Positionen im AFS-Portfolio stark ausgesetzt war, sondern auch bei ihren fixen Swap-Positionen – mit rund 27,7 Milliarden US-Dollar an Nominalwert in ihren Büchern. Dieser Nominalwert ist im Vergleich zu dem, was im Finanzsystem noch schlummert, geradezu gering.

Laut dem Office of the Comptroller of the Currency hielten insgesamt 1.211 versicherte US-amerikanische nationale und staatliche Geschäftsbanken und Sparkassen Derivate, aber 88,6 % davon konzentrierten sich auf nur vier große Banken:

J.P. Morgan Chase (54,3 Billionen Dollar)

Goldman Sachs (51 Billionen Dollar)

Citibank (46 Billionen Dollar)

Bank of America (21,6 Billionen Dollar)

Wells Fargo (12,2 Billionen US-Dollar)

Quelle

Verluste aus Swaps, die durch höhere langfristige Zinssätze verursacht werden, können entweder direkt die Gewinn- und Verlustrechnung einer Bank treffen oder ihr Eigenkapital aufzehren, bevor sie zukünftige Gewinne schmälern, je nachdem, wie die Verträge nach den Rechnungslegungsvorschriften gekennzeichnet sind.

Und nun?

Ja, und nun? Hat das keiner kommen sehen? Das Risiko steigender Zinsen ist bekannt, da die Mehrheit der Bankinstitute Null-Hedges gegen steigende Zinsen halten – und warum sollten sie? Wir ja haben seit den 1980er Jahren sinkende Zinsen. Allerdings haben uns viele nebenberufliche Analysten und sogar ausländische Milliardäre vor Jahren gewarnt. Wie Michael Snyder 2013 in einem Artikel mit dem Titel schrieb:

"Will rapidly rising interest rates rip through the U.S. financial system like a giant lawnmower blade? Yes, the U.S. economy survived much higher interest rates in the past, but at that time there were not hundreds of trillions of dollars worth of interest rate derivatives hanging over our financial system like a Sword of Damocles." [Werden schnell steigende Zinsen wie ein riesiges Rasenmähermesser durch das US-Finanzsystem rasen? Ja, die US-Wirtschaft hat in der Vergangenheit viel höhere Zinssätze überstanden, aber damals hingen keine Zinsderivate im Wert von Hunderten von Billionen Dollar wie ein Damoklesschwert über unserem Finanzsystem.]

"….rising interest rates could burst the derivatives bubble and cause "massive bankruptcies around the globe". Of course there are a whole lot of people out there that would be quite glad to see the "too big to fail" banks go bankrupt, but the truth is that if they go down our entire economy will go down with them." [Stigende Zinsen könnten die Derivate-Blase platzen lassen und „massive Insolvenzen rund um den Globus“ verursachen. Natürlich gibt es da draußen eine ganze Menge Leute, die sich freuen würden, wenn die „too big to fail“-Banken bankrott gehen würden, aber die Wahrheit ist, dass unsere gesamte Wirtschaft mit ihnen zusammenbrechen wird, wenn sie zusammenbrechen.]

"Our entire economic system is based on credit, and just like we saw back in 2008, if the big banks start failing credit freezes up and suddenly nobody can get any money for anything. When the next great credit crunch comes, every important number in our economy will rapidly start getting much worse." [Unser gesamtes Wirtschaftssystem basiert auf Krediten, und genau wie wir es 2008 gesehen haben, wenn die großen Banken zusammenbrechen, frieren die Kredite ein und plötzlich kann niemand mehr Geld für irgendetwas bekommen. Wenn die nächste große Kreditkrise kommt, wird jede wichtige Kennzahl in unserer Wirtschaft schnell viel schlimmer werden.]

Quelle

Hugo Salinas Prince erwähnte im selben Jahr: "I think we are going to see a series of bankruptcies. I think the rise in interest rates is the fatal sign which is going to ignite a derivatives crisis. This is going to bring down the derivatives system (and the financial system)." - Hugo Prince

"There are (over) one quadrillion dollars of derivatives and most of them are related to interest rates. The spiking of interest rates in the United States may set that off. What is going to happen in the world is eventually we are going to come to a moment where there is going to be massive bankruptcies around the globe." - Hugo Prince Where do we go from here? Time will tell, but there's no question that all the pieces are in places for a massive credit crunch that stands to make the 2008 Great Financial Crisis pail in comparison

[„Ich denke, wir werden eine Reihe von Insolvenzen erleben. Ich denke, der Anstieg der Zinssätze ist das fatale Zeichen, das eine Derivatekrise auslösen wird. Dies wird das Derivatesystem (und das Finanzsystem) zum Einsturz bringen.“

„Es gibt (über) eine Billiarde Dollar an Derivaten, und die meisten davon beziehen sich auf Zinssätze. Der Anstieg der Zinssätze in den Vereinigten Staaten könnte dies auslösen. Was in der Welt passieren wird, ist, dass wir schließlich kommen werden zu einem Moment, in dem es weltweit massive Insolvenzen geben wird."]

Und jetzt? Die Zeit wird es zeigen, aber es steht außer Frage, dass alle Teile für eine massive Kreditklemme bereitstehen, die die Große Finanzkrise von 2008 locker in den Schatten stellen wird.


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Kommentare

navy schrieb am 08.05.2023

2/3 aller US Banken, wird wohl pleite gehen, und das hat Folgen weltweit.


Bankenkrise: Wie geht es weiter?
Von Christian Kreiß, Professor für BWL mit Schwerpunkt Investition, Finanzierung und Volkswirtschaftslehre.
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Veröffentlicht am 8. Mai 2023 von Red.

Am 1.Mai wurde bekanntgegeben, dass First Republic Bank von der US-Aufsichtsbehörde FDIC (Federal Deposit Insurance Corporation) übernommen und sofort an die grösste US-Bank JPMorgan verkauft wurde. (1) JPMorgan wird alle Aktiva und die 84 Filialen übernehmen.

Die US-Aufsichtsbehörde FDIC rechnet damit, dass sie Verluste von etwa 13 Milliarden US-Dollar wird übernehmen müssen. Die Pleite von First Repubic Bank ist die von der Bilanzsumme her gesehen zweitgrösste Bankeninsolvenz der US-Geschichte. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, wie es nun mit dem Bankensektor weitergeht.

Das Wall Street Journal beschäftigte sich seit den ersten Bankunruhen im März, als Signature Bank und Silicon Valley Bank in Insolvenz gingen, laufend mit der Bankenfrage und sprach von einer «Bankenkrise in Zeitlupe» (2). Am 27. April 2023, kurz vor der Schliessung der First Republic Bank, erschien dort ein Artikel mit dem Titel: «Die Bank-Unruhen sind nur die Spitze des Schulden-Eisbergs» (3). Die Bankaktien innerhalb des S&P 1’500 wurden Mitte April 2023 so niedrig bewertet, wie fast noch nie in diesem Jahrhundert. Das KGV betrug lediglich acht (4).
Woher kommen die Bankenprobleme?

https://transition-news.org/bankenkrise-wie-geht-es-weiter

Kalle schrieb am 30.04.2023

Ich erinnere mich, dass die Derivate-Blase schon bei der letzten Finanzkrise 08/09 in Diskussion war, aber wie schon geschrieben, es ist eine Blackbox.

Die zunehmenden Pleiten (RENO-Schuhhaus etc.) kommen wohl auch daher, dass die vielen Zombie-Unternehmen sich jetzt nicht mehr billig refinanzieren können.

M.E. werden die Notenbanken aber bald die Reißleine ziehen und wieder Zinssenkungen vornehmen, an irgendeiner Stelle wird das System brechen müssen, bei den Banken, beim Verbraucher, beim Staat. Eine unheimliche Melange alles.


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